Berufsbedingte Gesundheitsrisiken für Arbeitnehmer gibt es seit jeher. In den letzten 100 Jahren waren es vor allem Krankheiten wie Staublunge, Asbestose, Lärmschwerhörigkeit, Haut- und Rückenleiden sowie Allergien, die die Liste der Berufskrankheiten anführten.
In der modernen Arbeitswelt hat sich dieses Bild jedoch gewandelt: So ist vor allem die Zahl der psychischen Erkrankungen unter den Beschäftigten in den letzten Jahren stark angestiegen. Bei etwa 25 Prozent der seelisch erkrankten Männer und Frauen sollen die Arbeitsbedingungen Hauptauslöser für die Erkrankung sein – so das Ergebnis einer Umfrage des Centrums für Disease Management unter Psychiatern. Damit standen die psychischen Erkrankungen im Jahr 2012 erstmals auf Platz zwei der wichtigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf das Volumen des Arbeitsausfalls. Dieses Phänomen ist sicherlich nicht zuletzt Folge der Vernetzung der Arbeitswelt und der damit verbundenen Verdichtung der Arbeit. Durch Smartphones, Social Media und vergleichbare Medien verwischt die Grenze zwischen Arbeitszeit, Freizeit und Urlaub zunehmend, ständige Erreichbarkeit verhindert echte Erholungsphasen und -zeiten. Hinzu kommen anhaltender Termindruck sowie die Notwendigkeit des „Multitaskings”.
Die auf Platz 1 gerankten Muskel-Skelett-Erkrankungen sind inzwischen laut einer Statistik der Betriebskrankenkassen für jede vierte Krankschreibung verantwortlich. Das betrifft Büroangestellte und Beschäftigte in industriellen Berufen gleichermaßen. Beinahe 80 Prozent der Bildschirmarbeiter klagen laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin über körperliche Beschwerden während oder nach der Arbeit.
Der wirtschaftliche Schaden durch Fehlzeiten oder Minderleistung der betroffenen Mitarbeiter ist enorm. Daher lohnt es sich, durch gute Arbeitsbedingungen und Lebensqualität am Arbeitsplatz die Gesundheit und Motivation der Mitarbeiter nachhaltig zu fördern. Ein erfolgreiches Unternehmen braucht gesunde und leistungsfähige Arbeitnehmer. Am sinnvollsten ist ein präventiver Ansatz (dazu im Folgenden unter I.). Aber selbst wenn ein Mitarbeiter bereits erkrankt ist, gibt es viele Möglichkeiten, als Arbeitgeber unterstützend tätig zu werden (dazu unter II.).
I. Präventive Maßnahmen des Gesundheitsschutzes
1. Gesetzliche Vorgaben
Zunächst bestehen zahlreiche arbeitsrechtliche und berufsgenossenschaftliche Vorschriften, die den Arbeitgeber zur Gesundheitsvorsorge im weiteren Sinne verpflichten.
Da gibt es zum Beispiel die Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes im Arbeitsschutzgesetz. Der Arbeitgeber ist danach verpflichtet, Gefährdungen für Leben und Gesundheit der Mitarbeiter zu vermeiden. Zu diesem Zweck muss er eine Gefährdungsbeurteilung durchführen und äußere Belastungsfaktoren wie Lärm, Schmutz und Körperhaltung sowie innere, dem psychischen Bereich zuzuordnende Kriterien wie Termindruck, zahlreiche Arbeitsunterbrechungen und Ähnliches berücksichtigen. Bei Fehlentwicklungen ist er gehalten, organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die solche Missstände beseitigen. So sind etwa Über- oder Unterforderungen am Arbeitsplatz zu vermeiden, ebenso wie monotone Tätigkeiten oder ständige Überstunden. Diese Beurteilung muss für jeden einzelnen Arbeitsplatz und/oder Arbeitsbereich durchgeführt und kann personenbezogen erweitert werden. Es ist sorgfältig zu prüfen, ob und in welchem Umfang mit einer Arbeit Gefährdungen verbunden sind. Arbeitnehmer sind ihrerseits aber ebenfalls verpflichtet, Probleme anzuzeigen und an der Vermeidung von Gefahrenquellen aktiv mitzuwirken. Die Bundesregierung hat jüngst in einem Gesetz zur Neuordnung der bundesunmittelbaren Unfallkassen unter anderem Änderungen im Arbeitsschutzgesetz vorgenommen. Das Gesetz schreibt zukünftig sogar ausdrücklich vor, dass auch psychische Belastungen bei einer Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen sind. Auch das Arbeitszeitgesetz dient dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer. Durch den Einzug mobiler Endgeräte (Smartphones, Laptops) in das Arbeitsleben sowie der Unternehmenspräsenz in sozialen Netzwerken werden viele Vorschriften dieses Gesetzes jedoch faktisch ausgehebelt. Zahlreiche Mitarbeiter sind inzwischen auch außerhalb ihrer Vertragsarbeitszeit für Arbeitgeber oder Kunden erreichbar. Ist dies durch den Arbeitgeber veranlasst, gelten die zur Rufbereitschaft entwickelten Grundsätze: Wird der Mitarbeiter tatsächlich aktiv, ist darin im Zweifel Arbeitszeit zu sehen. Die Verrichtung der Arbeitszeit ist nämlich nicht an die Anwesenheit am Arbeitsplatz geknüpft. Anders verhält es sich jedoch, wenn das dienstliche Telefon mit dem Recht zur Privatnutzung freiwillig in der Freizeit mitgenommen wird. Dies hat arbeitszeitrechtlich keine Relevanz. Einige Unternehmen haben bereits auf derartige Entwicklungen reagiert und blockieren ab einer bestimmten Uhrzeit die Weiterleitung von E-Mails auf Endgeräte des Mitarbeiters oder weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Beantwortung von E-Mails am Wochenende nicht erwartet wird.
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist schließlich auch noch das Bundesurlaubsgesetz. Ordnet der Arbeitgeber die Erreichbarkeit seines Mitarbeiters im Urlaub an, ist dieser also gehalten, E-Mails zu lesen und zu beantworten oder dienstliche Telefonate zu führen, so führt dies im Zweifel dazu, dass der Urlaubsanspruch nicht erfüllt wird. Liest der Arbeitnehmer seine Mails allerdings freiwillig, ohne besondere Anordnung seines Arbeitgebers, wird der Urlaubsanspruch erfüllt.
2. Betriebliche Maßnahmen
Die gesetzlichen Vorschriften reichen alleine aber noch nicht aus. Sie regeln nur die allernotwendigsten Maßnahmen. Um die Gesundheit und Motivation der Mitarbeiter nachhaltig zu verbessern und damit die Unternehmensergebnisse, die Wettbewerbsfähigkeit sowie das Image zu steigern, sind weitere Überlegungen sinnvoll. Gesundheitsmanagement sollte im Optimalfall Bestandteil der Unternehmens- und Führungskultur werden. Ein ganzheitlicher und nachhaltiger Ansatz, der individuell für das Unternehmen erarbeitet wurde, ist dabei sinnvoller als punktuell eingesetzte Einzelmaßnahmen. Den Ausgestaltungsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Die folgende Aufzählung hat lediglich beispielhaften Charakter und soll nur einen Denkanstoß für ein kompaktes Gesundheitskonzept geben.
- Durchführung regelmäßiger Mitarbeiterbefragungen zum Gesundheitsstatus/Arbeitsumfeld sowie systematische und regelmäßige Analysen des Gesundheitszustands der Mitarbeiter; hier sind vor allem datenschutzrechtliche Vorgaben zu beachten!
- Einrichtung einer internen oder externen Beratungsstelle für gesundheitliche Probleme von Mitarbeitern oder Benennung einer Vertrauensperson, an die sich die Mitarbeiter wenden können.
- Instrumentelle Unterstützung durch Arbeitsmittel, Tipps und Entlastung sowie emotionale Unterstützung durch Zuspruch, Motivation, Zuhören.
- Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen durch Betriebsarzt oder externen Arzt (dann mit Kostenübernahme durch den Arbeitgeber).
- Beratung am Arbeitsplatz durch spezialisierte Physiotherapeuten.
- Einbeziehung externer Dienstleister, die Hilfestellungen in allgemeinen Lebenslagen geben (zum Beispiel Familienservice zur Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder der Betreuung pflegebedürftiger Verwandter).
- Angebot von/Zuschüsse zahlen zu Betriebssport, Rückenprogrammen, Entspannungsangeboten, Ernährungsprogrammen, Suchtberatung; Selbstverantwortung der Mitarbeiter hervorheben.
- Anbieten von gesundem Kantinenessen.
- Angebot flexibler Arbeitszeitmodelle (Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Sabbaticals).
- Entwicklung von Richtlinien zur Unternehmens- und Führungskultur (Richtlinien zu Compliance, Ethik, Social Media) sowie Etablierung von Whistleblowing-Hotlines und anderen Anlaufstellen zur Meldung von besonderen betrieblichen Problemen.
- Sensibilität bei Führungskräften durch spezielle Schulungen wecken mit dem Ziel, dass diese ihre Mitarbeiter motivieren und mit Konflikten umgehen können, Stresssituationen sowie psychische Belastungen von Mitarbeitern erkennen und vor allem auch klare Erwartungen an ihre Untergebenen formulieren können. Gegebenenfalls Zielvereinbarungen treffen sowie regelmäßige Mitarbeitergespräche führen.
Bei allen angeführten Aspekten sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten (siehe insbesondere die §§ 80, 87 Abs. 1 Nr. 2, 3, 7, 89, 90, 91 und 94 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)).
II. Umgang mit erkrankten Mitarbeitern
Ist ein Mitarbeiter krankheitsbedingt längere Zeit ausgefallen, können bei seiner Rückkehr in das Unternehmen Gespräche sinnvoll sein. War der Mitarbeiter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, ist der Arbeitgeber dazu sogar verpflichtet (sogenanntes „Betriebliches Eingliederungsmanagement, bEM”, § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX).
1. Mitarbeitergespräche anlässlich krankheitsbedingter Fehlzeiten
Auch außerhalb des für den Arbeitgeber verpflichtenden bEM können Mitarbeitergespräche nach der Rückkehr eines Beschäftigten aus der Krankheitszeit hilfreich sein. Ziel dieser Gespräche ist es zu ermitteln, ob es bestimmte betriebliche Ursachen für die häufigen oder lang andauernden krankheitsbedingten Fehlzeiten des Mitarbeiters gibt, um in der Zukunft derartige Erkrankungen zu vermeiden.
Grundsätzlich muss der Arbeitnehmer an solchen Gesprächen teilnehmen. Allerdings darf der Arbeitgeber nur bestimmte Fragen stellen. So ist ihm zum Beispiel die Erörterung von Krankheitsursachen nur dann erlaubt, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass betriebliche Abläufe, gesundheitsgefährdende Stoffe oder Mobbing am Arbeitsplatz zumindest mitursächlich für die Erkrankung waren. Auch die Frage nach einem eventuellen Schädiger ist statthaft. Weiter darf er erfragen, ob in nächster Zeit mit einer erneuten Arbeitsunfähigkeit zu rechnen ist (etwa wegen einer Operation oder Kur). Gleiches gilt für die Frage nach Bestehen einer Ansteckungsgefahr. Der Arbeitgeber ist hingegen nicht befugt, nach medizinischen Diagnosen zu fragen, und sollte den Mitarbeiter am besten darüber belehren, dass er dahingehend nicht auskunftspflichtig ist. Auch darf er seinen Mitarbeiter nicht auffordern, den zuständigen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Frage nach den Krankheitsursachen ist unzulässig, wenn klar ersichtlich ist, dass es sich um „persönliche Ursachen” aus dem privaten Umfeld handelt.
Werden im Nachgang zu solchen Gesprächen Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers verarbeitet oder gespeichert, sind die einschlägigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Soweit Betriebsvereinbarungen zu diesem Thema existieren, müssen die entsprechenden Vorgaben eingehalten werden. Bei formalisierten Krankenrückkehrgesprächen oder bei einer nach abstrakten Kriterien ermittelten Anzahl von Arbeitnehmern, mit denen Gespräche geführt werden sollen, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
2. Betriebliches Eingliederungsmanagement
Das für den Arbeitgeber verpflichtende bEM hat den Zweck, einen langzeiterkrankten Mitarbeiter wieder erfolgreich in die betriebliche Organisation einzubinden. Darüber hinaus soll es – wie auch die freiwilligen Rückkehrgespräche – erneute Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise chronische Erkrankungen vermeiden und den Arbeitsplatz erhalten. War also ein Mitarbeiter innerhalb der letzten 12 Kalendermonate insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt, ist das Unternehmen verpflichtet, ein bEM durchzuführen. Dies gilt für schwerbehinderte und nicht behinderte Arbeitnehmer gleichermaßen. Ein bEM darf nur durchgeführt werden, wenn der betroffene Arbeitnehmer diesem ausdrücklich zustimmt. Der Mitarbeiter ist also zur Teilnahme am bEM nicht verpflichtet. Voraussetzung für eine wirksame Zustimmung des Mitarbeiters ist, dass der Arbeitgeber ihn vorab umfassend über den Zweck des bEM, dessen Freiwilligkeit und die beabsichtigte Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung unterrichtet hat. Neben dem Betriebsrat ist gegebenenfalls auch die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Soweit erforderlich, wird der Betriebsarzt hinzugezogen. Wird das bEM nach formalisierten Kriterien und Strukturen durchgeführt, kann dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht zustehen. Auch hier gelten im Übrigen die besonderen Regeln des Bundesdatenschutzgesetzes zum Umgang mit besonders sensitiven Gesundheitsdaten.
Das Gesetz sieht keine Sanktionen vor, wenn der Arbeitgeber das bEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchführt. Ein unterlassenes bEM führt auch nicht automatisch zur Unwirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht die Darlegungslast des Arbeitgebers im Kündigungsschutzverfahren im Falle des Unterlassens erheblich verschärft (BAG vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08). Verweigert der Mitarbeiter die Teilnahme am Gespräch, kann er sich in einem eventuellen Kündigungsschutzprozess jedenfalls nicht darauf berufen, dass der Arbeitgeber nicht alles versucht habe, den Arbeitsplatz leidensgerecht anzupassen.
Quelle: http://www.cms-hs.net