Ein Mitarbeiter, der wegen Krankheit arbeitsunfähig ist, hat während dieser Zeit durch sein eigenes Verhalten dafür zu sorgen, dass er die Phase der Arbeitsunfähigkeit möglichst schnell überwindet. Das bedeutet aber nicht, dass er stets nur das Bett hüten muss und die Wohnung nicht verlassen darf. Vielmehr ist auf die jeweilige Erkrankung abzustellen. Diese, beziehungsweise die ärztliche Anordnung, entscheidet, was ihm erlaubt ist und was nicht. Leidet ein Mitarbeiter unter einem eingeklemmten Nerv im Arm, ist es ihm jedenfalls erlaubt, während seiner Krankschreibung ein Vorstellungsgespräch zu führen.
So urteilte unlängst das LAG Mecklenburg-Vorpommern. Der erkrankte Mann war als Abteilungsleiter mit dem Aufgabenbereich Reha-Technik seit April 2010 in einem Unternehmen beschäftigt. Im Mai 2011 bewarb er sich auf die Position des Geschäftsführers einer städtischen GmbH. Da er in die engere Auswahl für diese Stelle kam, wurde er gebeten, sich bei der Bürgerschaft vorzustellen. Diesem Wunsch kam er nach. Da er zum Zeitpunkt der Vorstellung jedoch wegen eines eingeklemmten Nervs krankgeschrieben war, kündigte sein derzeitiger Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich, nachdem das Unternehmen durch die Presse vom Auftritt vor der Bürgerschaft erfahren hatte.
Zu Unrecht, wie die Richter befanden. Der zuständige Arzt habe dem Mitarbeiter lediglich geraten, den rechten Arm nicht zu belasten. Damit sei nicht erkennbar, weshalb es ihm verboten sein solle, sich bei der Bürgerschaft vorzustellen. Die Tatsache, dass der Abteilungsleiter mit der öffentlichen Vorstellung seinen Abkehrwillen deutlich zum Ausdruck gebracht habe, rechtfertige ebenfalls keine Kündigung. Solange ein Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erfülle, könne ihm die Suche nach einem anderen Arbeitsumfeld grundsätzlich nicht vorgeworfen werden. Artikel 12 des Grundgesetzes gewähre ihm freie Arbeitsplatzwahl. Eine Kündigung komme nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ein abkehrwilliger Mitarbeiter seine vertraglichen Pflichten vernachlässige oder wenn der Arbeitgeber die Chance habe, für den abkehrwilligen Mitarbeiter eine andere Person einzustellen. (LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 5. März 2013 – 5 Sa 106/12)
Tipp für die Praxis:
Das Urteil stellt keinen Freibrief für die Vorstellungsgespräche abkehrwilliger Mitarbeiter dar. Wer sich gezielt krankschreiben lässt, um Vorstellungsgesprächen nachgehen zu können, muss nach wie vor mit einer außerordentlichen Kündigung rechnen. Gleiches gilt, wenn die angegebene Krankheit Bettruhe/Aufenthalt zu Hause gebietet. Im zu entscheidenden Fall hatte das Gericht vor allem deswegen zugunsten des Arbeitnehmers geurteilt, weil dieser zur Beweisführung seinen Arzt von der Schweigepflicht entbunden hatte und das Unternehmen daraufhin nicht den Nachweis erbracht hat, dass tatsächlich gar keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. |