Wird ein Zeitarbeitnehmer vom entleihenden Unternehmen in ein Arbeitsverhältnis übernommen, stellt sich in der Praxis häufig die Frage, inwieweit die Beschäftigungszeit als Zeitarbeitnehmer auf die Wartefrist gem. § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anzurechnen ist. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen musste sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses mit der Frage befassen und verneinte die Anrechnung im Ergebnis. Das LAG Rheinland-Pfalz kam in einem ähnlich gelagerten Fall zum gleichen Resultat.
Rechtlicher Hintergrund:
Ein Mitarbeiter kommt erst dann in den Genuss eines umfassenden Kündigungsschutzes, wenn sein Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat (§ 1 Absatz 1 KSchG). |
Diesem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma wurde seit Mai 2011 bei einem Kunden des Unternehmens als Fertigungsplaner eingesetzt. Zum 1. Dezember 2011 stellte ihn der Kunde dann direkt als Mitarbeiter ein. Er wurde auf demselben Arbeitsplatz wie zuvor beschäftigt. Man vereinbarte eine sechsmonatige Probezeit mit einmonatiger Kündigungsfrist zum Monatsende. Am 29. Mai 2012 kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012. Der Fertigungsplaner klagte gegen diese Kündigung und machte geltend, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt. Das Kündigungsschutzgesetz sei auf das Arbeitsverhältnis anwendbar, weil er faktisch bereits seit Mai 2011 bei dem Unternehmen gearbeitet habe. Die Beschäftigung im Rahmen des Zeitarbeitsverhältnisses sei im Grunde seine Probezeit gewesen.
Die Richter sahen dies jedoch anders: Mangels Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit greife das Kündigungsschutzgesetz nicht ein. Die Kündigung müsse daher auch nicht sozial gerechtfertigt sein. Dafür spreche zum einen der Wortlaut des § 1 Abs. 1 KSchG „dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb…länger als sechs Monate bestanden hat”. Zum anderen verändere sich bei der Neubegründung eines festen Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden des Personaldienstleisters nach Ablauf eines vorgeschalteten Zeitarbeitsverhältnisses die Sichtweise grundlegend. Der Kunde kenne den Arbeitnehmer aus der vorherigen Zusammenarbeit nur aus der „Kundenperspektive“. Bestimmte Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (zum Beispiel die Anzeige- und Nachweispflichten nach § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) müsse der Zeitarbeitnehmer primär gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber, das heißt bisher gegenüber dem Personaldienstleister, erbringen. Typischerweise übernehme dieser auch einige Aspekte der Personaldisposition. Die Zusammenarbeit zwischen dem (Zeit-)Arbeitnehmer und dem späteren Arbeitgeber beschränke sich in dieser Phase noch auf die rein fachliche Kooperation am Einsatzarbeitsplatz. Mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Kunden werde die Zusammenarbeit mit dem vormaligen Zeitarbeitnehmer auf eine neue, umfassendere Grundlage gestellt. Hier bestehe Anlass für eine erneute sechsmonatige Wartezeit zur Erprobung der gegenseitigen Zusammenarbeit unter allen Aspekten eines Arbeitsverhältnisses.
Eine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit als Zeitarbeitnehmer auf das spätere Arbeitsverhältnis sei auch mit Blick auf die Entscheidung des BAG vom 10. Oktober 2012 (7 ABR 53/11) nicht geboten. Das BAG hatte hier entschieden, dass Beschäftigungszeiten als Zeitarbeitnehmer bei dem Kundenunternehmen auf die für die Wählbarkeit zum Betriebsrat nach § 8 Absatz 1 Satz 1 BetrVG erforderliche sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen seien, wenn der Zeitarbeitnehmer im Anschluss an die Überlassung in ein Arbeitsverhältnis übernommen werde (wir berichteten in unserem CMS Update Arbeitsrecht Ausgabe März 2013). Schon der maßgebliche Gesetzeswortlaut sei im kündigungsschutz- und betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang unterschiedlich: Während § 1 Absatz 1 KSchG ausdrücklich auf den vertragsrechtlichen Begriff des „Arbeitsverhältnisses“ Bezug nehme, knüpfe § 8 Absatz 1 Satz 1 BetrVG daran an, ob der Arbeitnehmer schon „6 Monate dem Betrieb angehört“ habe. Letzteres sei ein Tatbestandsmerkmal, das ein Abstellen auf die eher tatsächliche Eingliederung in den Betrieb ermögliche. Dagegen bestehe vertragsrechtlich zunächst ausschließlich ein „Arbeitsverhältnis“ mit dem Zeitarbeitsunternehmen und erst später mit dem Kunden. Es handele sich mithin nicht um ein einheitliches, sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern. Auch die Interessenlage sei in § 8 Absatz 1 Satz 1 BetrVG eine andere: Das passive Wahlrecht könne bereits den Arbeitnehmern zugestanden werden, die den Betrieb seit mindestens 6 Monaten kennen würden – sei es aus der Perspektive eines Zeitarbeitnehmers oder später aus der Perspektive der Stammbelegschaft. Der Sinn der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG sei hingegen erst erfüllt, wenn der jeweilige Vertragsarbeitgeber den neuen Arbeitnehmer sechs Monate lang in allen Belangen des Arbeitsverhältnisses kennengelernt habe.
(LAG Niedersachsen vom 5. April 2013 – 12 Sa 50/13;
auch LAG Rheinland-Pfalz vom 14. Mai 2013 – 6 Sa 552/12)