Der Fortschritt in der Telekommunikation erlaubt inzwischen, dass viele Arbeitnehmer zumindest theoretisch zu jeder Zeit an jedem Ort arbeiten können. Neben Smartphones besteht vielfach die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter über einen beliebigen Internetzugang per Dienst-Laptop oder mit dem eigenen PC in das firmeneigene Netz einwählen. Dies führt zu einer ständigen Erreichbarkeit der Mitarbeiter und dies wiederum zu einem Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Einerseits ist es ungemein praktisch, wenn wichtige Angelegenheiten zum Beispiel auf Dienstreisen oder schnell nach Dienstschluss erledigt werden können. Andererseits steht der betroffene Mitarbeiter dadurch auch permanent unter Druck. Es bedarf einiger Disziplin, Posteingangsnachrichten zu ignorieren. Denn wer lässt nach Dienstschluss die Mail des Chefs einfach ungelesen im Postfach liegen, zumal dieser ja weiß, dass der Arbeitnehmer sie theoretisch lesen könnte… Es gibt zahlreiche Modebegriffe, welche die Phänomene, die sich um diese Entwicklung ranken, beschreiben: „Morbus Blackberry / Morbus iPhone“, „Work-Life-Balance“, „Generation Y“, „Burn-out“ sind nur einige davon. Fakt ist jedenfalls, dass es einen Zusammenhang zwischen permanenter Erreichbarkeit und wachsender psychischer Belastung gibt und dass die Zahl der psychisch kranken Arbeitnehmer in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Einige Unternehmen setzen daher auf Richtlinien / Betriebsvereinbarungen, die den Mitarbeitern ausdrücklich das Recht auf Nichterreichbarkeit einräumen oder die Arbeit zu Hause als Arbeitszeit / Überstunden werten. Teilweise schalten Arbeitgeber die Server ab, sodass Mails nicht mehr auf das Smartphone weitergeleitet werden können. Faktisch werden hiervon aber regelmäßig zahlreiche Mitarbeiter ausgenommen, insbesondere diejenigen, die nicht tariflich bezahlt werden (sogenannte AT-Angestellte). Unlängst hat der Automobilhersteller Daimler ganz neue Wege beschritten und den Abwesenheitsassistenten „Mail on Holiday“ eingerichtet. Dieser wird während des Urlaubs eines Mitarbeiters aktiviert und weist den Absender einer Mail auf den zuständigen Stellvertreter des Mailadressaten hin sowie darauf, dass seine Mail gelöscht wird. Anschließend löscht der Assistent die Mail tatsächlich aus dem Account des abwesenden Mitarbeiters, damit dieser nach seinem Urlaub ein aufgeräumtes Postfach vorfindet.
Im Folgenden nehmen wir uns der arbeitsrechtlichen Fragestellungen an, die sich aus der permanenten Erreichbarkeit ergeben. Im Fokus stehen Arbeitszeit- und Bundesurlaubsgesetz (ArbZG, BUrlG). Zu beachten ist dabei, dass das ArbZG auf leitende Angestellte nicht anwendbar ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG). Die nachfolgend aufgezeigten gesetzlichen Beschränkungen gelten daher nicht für Führungskräfte und Executives.
1. Kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer ständige Erreichbarkeit verlangen?
Der Arbeitgeber hat eine Dispositionsbefugnis über die Lage der Arbeitszeit. Das bedeutet, dass er Ort, Zeit und Inhalt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen innerhalb der Grenzen des ArbZG festlegen kann, falls dies nicht schon durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag geschehen ist. Innerhalb der geregelten Arbeitszeiten kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anweisen, ständig über ein „Mobile Device“ erreichbar zu sein. Außerhalb der Arbeitszeit besteht dieses Direktionsrecht prinzipiell nicht.
2. Inwieweit kann der Arbeitgeber die Erreichbarkeit auch in der Freizeit des Arbeitnehmers anordnen?
Bei fixen Arbeitszeiten kann nur in Ausnahme- oder Notfällen eine Erreichbarkeit des Arbeitnehmers zum Schutz der betrieblichen Interessen verlangt werden. Außerdem darf der Arbeitgeber die Verfügbarkeit des Mitarbeiters erwarten, wenn dieser über eine längere Zeit und ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag eine Anordnung des Arbeitgebers zur Erreichbarkeit widerspruchslos befolgt. Es kommt dann zu einer konkludenten Vereinbarung.
Wenn die Arbeitszeiten flexibel sind, kann sich der Arbeitnehmer ausdrücklich oder durch schlüssiges Handeln verpflichtet haben, auch außerhalb der normalen Bürozeiten erreichbar zu sein, solange nicht ein anwendbarer Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder der Arbeitsvertrag etwas anderes bestimmen. Häufig ist dies beispielsweise dann der Fall, wenn Mitarbeiter zeitzonenübergreifend tätig sind.
Hinweis: | ||
Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollte im Arbeitsvertrag ausdrücklich festgelegt werden, dass der Arbeitnehmer auf entsprechende Anweisung des Arbeitgebers dazu verpflichtet werden kann, sich außerhalb der normalen Bürozeiten erreichbar zu halten. |
3. Ist die Zeit der Erreichbarkeit als Arbeitszeit zu werten?
Ordnet ein Arbeitgeber an, dass der Mitarbeiter in seiner Freizeit erreichbar sein soll, so liegt weder Rufbereitschaft noch Bereitschaftsdienst vor.
Rufbereitschaft bedeutet, dass ein Arbeitnehmer dazu verpflichtet ist, sich außerhalb seiner regulären Arbeitszeit an einem selbst gewählten, aber dem Arbeitgeber bekannten Ort aufzuhalten, um seine Arbeit bei Bedarf sofort aufnehmen und gegebenenfalls auch direkt seinen Arbeitsplatz erreichen zu können. Dementsprechend muss er seine Freizeitgestaltung einschränken. So sind etwa Alkoholkonsum oder Schwimmbadbesuche tabu.
Bereitschaftsdienst heißt, dass der Mitarbeiter sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhält, um erforderlichenfalls sofort einsatzbereit zu sein.
Beide Arbeitsformen passen nicht unmittelbar zu der Situation, dass der Mitarbeiter nach Büroschluss „bloß erreichbar“ sein soll. Sein Privatleben wird nicht wie bei der Rufbereitschaft eingeschränkt; er hat auch nicht die Pflicht, unverzüglich zu reagieren. Er kann in der Regel selbst entscheiden, wann und wie schnell er auf eine Mail reagiert oder einen Kunden / Kollegen zurückruft und von welchem Ort aus er dies tut. Ein Teil der arbeitsrechtlichen Literatur spricht sich aber dafür aus, die Grundsätze der Rufbereitschaft in dieser Konstellation entsprechend anzuwenden, dabei aber stets die Unterschiede zu beachten und in Einzelfällen individuell zu entscheiden. Dies bedeutet insbesondere, dass nur die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nach Anweisung des Arbeitgebers für diesen tatsächlich tätig wird, als Arbeitszeit und somit möglicherweise auch als Überstunden zu werten sind.
4. Wie ist die Lage, wenn der Arbeitnehmer die Arbeit in seiner Freizeit von sich aus aufnimmt?
Wenn der Arbeitnehmer ohne Anordnung, also von sich aus, eine Tätigkeit aufnimmt, ist umstritten, wie ein solches Verhalten zu werten ist. Die Rechtsprechung hat dies noch nicht abschließend geklärt. Einerseits wird argumentiert, dass solche Tätigkeiten sich der Sphäre des Arbeitgebers entziehen, da dieser keinen Einfluss auf den Mitarbeiter in seiner Freizeit hat und diese deswegen nicht als Arbeitszeit gewertet werden können. Teilweise ist man aber der Ansicht, dass alle Tätigkeiten außerhalb der regulären Arbeitszeiten dem Arbeitgeber zuzurechnen sind, da dieser faktisch ständigen Einfluss auf den Arbeitnehmer hat. Folge der zweiten Auffassung wäre, dass der Arbeitgeber die volle Verantwortung für die Einhaltung des ArbZG / BUrlG tragen würde und mit entsprechenden Regelungen dafür sorgen müsste, dass diese eingehalten werden. Die Leistungen würden zudem zu einem Vergütungsanspruch führen. Das ist in der Praxis kaum umsetzbar.
Weiß der Arbeitgeber allerdings, dass Mitarbeiter auch außerhalb der Bürozeiten tätig werden und erreichbar sind und nimmt er dies hin, indem er die Resultate der Tätigkeiten verwendet, kann es im Einzelfall hingegen sachgerecht erscheinen, diese Arbeit zu vergüten oder dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
Hinweis: | ||
Es ist sinnvoll, eine Regelung über die Nutzung von Smartphones und Laptops bzw. Mail Accounts zu treffen und diese in der Freizeit gegebenenfalls zu untersagen, um Schwierigkeiten von vorneherein zu vermeiden. |
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit eine vertragliche Klausel, nach der Überstunden mit der Vergütung pauschal abgegolten sind, hier für Klarheit sorgen kann. Die Rechtsprechung hierzu ist jedoch sehr komplex und die Klauseln nur begrenzt zulässig. So sind sie in der Regel unwirksam, wenn der Mitarbeiter eine „normale“ tarifliche Vergütung erhält. Bei leitenden Angestellten sind die Klauseln hingegen oftmals wirksam. Ferner unterliegen Pauschalabgeltungsklauseln dem Transparenzgebot – der Mitarbeiter muss also wissen, was „auf ihn zukommt“. Dementsprechend sollte im Zweifel festgelegt werden, wie viele Überstunden pauschal mit dem Gehalt abgegolten sind.
5. Wie verhält es sich, wenn der Vorgesetzte „nur mal kurz“ anruft, um zu klären…?
Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Entscheidend ist der jeweilige Einzelfall. Wieder kommt es darauf an, ob es dem Arbeitnehmer tatsächlich freisteht, den Anruf (oder die Nachricht) zu beantworten und wie groß sein Aufwand hierfür ist. Die verbindliche Teilnahme an einer längeren Telefonkonferenz kann anders zu beurteilen sein, als eine Frage des Chefs, die mit einem kurzen „ja / nein“ beantwortet werden kann.
6. Was passiert, wenn der Arbeitnehmer seiner Pflicht zur Erreichbarkeit nicht nachkommt?
Ist der Arbeitnehmer trotz ausdrücklich getroffener Vereinbarung oder entgegen einer wirksamen Anweisung des Arbeitgebers nicht erreichbar, kann eine Abmahnung aufgrund vertragswidrigen Verhaltens erfolgen, im Wiederholungsfall eine verhaltensbedingte Kündigung. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, zum Beispiel wenn die Vertragsverletzung einen Auftragsverlust bewirkt oder der Arbeitnehmer sich nachhaltig weigert, diesen vertraglichen Pflichten überhaupt nachzukommen.
7. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, im Zuge einer Anordnung der ständigen Verfügbarkeit Überstunden zu erbringen?
Führt die Anordnung der ständigen Erreichbarkeit dazu, dass der Arbeitnehmer Überstunden leisten muss, so ist er dazu nur verpflichtet, wenn ein ausdrücklicher Verpflichtungstatbestand durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung besteht oder ein Notfall die Überstunden erforderlich macht. Im Übrigen kann er die Leistung ablehnen.
8. Was ist im Hinblick auf die gesetzlich vorgeschriebene ununterbrochene Ruhezeit bei der Anordnung der ständigen Erreichbarkeit zu beachten?
Das ArbZG schreibt vor, dass Arbeitnehmer nach der Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden bis zum nächsten Arbeitsantritt einhalten müssen. Es stellt sich die Frage, ab wann gegen diese zwingende Vorschrift bei der Verpflichtung zu ständiger Erreichbarkeit verstoßen wird. Solange die Tätigkeit in geringfügigem Rahmen bleibt, wie das Versenden einer Mail oder das Beantworten eines kurzen Telefonats, liegt nach unserer Auffassung keine Unterbrechung der gesetzlich festgelegten elfstündigen Ruhezeit vor. Erforderlich ist vielmehr eine Tätigkeit mit gewisser Erheblichkeit. Erst diese lässt die Ruhezeit erneut von vorne beginnen. Die Rechtsprechung hat jedoch noch nicht abschließend entschieden, was genau eine „geringfügige Tätigkeit“ ausmacht. Die Kuh ist also noch nicht vom Eis.
9. Wie wirkt sich die permanente Erreichbarkeit auf die gesetzlich vorgeschriebene Höchstarbeitszeit von regelmäßig acht Stunden werktäglich aus?
Grundsätzlich gilt, dass die Arbeitszeit auf bis zu zehn Stunden werktäglich verlängert werden kann, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Da der Samstag nach dem Arbeitszeitgesetz auch als Werktag gilt – unabhängig davon, ob an ihm üblicherweise gearbeitet wird –, kann die Arbeitsleistung grundsätzlich auch an Samstagen abgerufen werden.
10. Wie verhält sich die ständige Erreichbarkeit zur Sonn- und Feiertagsruhe?
Will der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter an Sonn- und Feiertagen zur Erreichbarkeit verpflichten, so geht dies nur in den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (§ 10 Abs. 1 ArbZG). Für darüber hinausgehende Ausnahmen ist eine behördliche Ausnahmebewilligung erforderlich.
11. Welche Sanktionen drohen, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten verletzt?
Bei nicht ordnungsgemäßer Einhaltung der Höchstarbeitszeiten und / oder Mindestruhezeiten oder bei einem Verstoß gegen das Sonn- und Feiertagsbeschäftigungsverbot begeht der Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu einer Höhe von EUR 15 000 geahndet werden kann. (§ 22 ArbZG in Verbindung mit §§ 5 und 9 ArbZG).
12. Muss der Arbeitnehmer in seinem Urlaub kurzfristig über das Smartphone erreichbar sein?
Zumindest für den gesetzlichen Urlaubsanspruch (24 Werktage pro Jahr, bei sechs Werktagen / Woche, § 3 Abs. 1 BUrlG) gilt, dass die Vereinbarung der Pflicht des Arbeitnehmers zur ständigen Erreichbarkeit verboten ist und auch nicht wirksam vereinbart werden kann. Der Arbeitgeber muss vielmehr dafür Sorge tragen, dass auf den Mitarbeiter während des Urlaubs verzichtet werden kann. Einzige Ausnahme ist der bislang von der Rechtsprechung aber noch nicht näher konkretisierte „Notfall“. Personalmangel reicht jedenfalls nicht aus, um einen solchen zu begründen. Der Tag, an dem es zu einer substanziellen Tätigkeit kommt, ist daher als Urlaubstag nachzugewähren. Rechtsprechung gibt es dazu noch nicht.
Bei einer freiwilligen Arbeitsaufnahme im Urlaub in geringem Umfang kommt eine Nachgewährung des Urlaubs nach unserer Ansicht nicht in Betracht. Jedoch ist auch diese Frage von den Arbeitsgerichten bislang nicht entschieden. Zu bedenken ist hier einerseits, dass sich viele Mitarbeiter durch eine Erwartungshaltung im Unternehmen unter Druck gesetzt fühlen, ihre Mails zu checken und gegebenenfalls kurz zu beantworten. Andererseits kann es auch nicht in der Hand der Arbeitnehmer liegen, durch die „freiwillige“ Beantwortung von Mails die Nachgewährung von Urlaubstagen zu erwirken.
13. Wann bestehen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?
a) | Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG über die Lage der Arbeitszeit mitzubestimmen. Nach Auffassung des BAG gilt dies auch für die Anordnung von Rufbereitschaft. Infolgedessen dürfte dieses Mitbestimmungsrecht entsprechend auch für die Anordnung der Erreichbarkeit während der Freizeit / am Wochenende anzuwenden sein. |
b) | Gleiches gilt für das Mitbestimmungsrecht bei der vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Nicht nur die Anordnung, sondern schon die Duldung von Überstunden löst dieses Mitbestimmungsrecht aus. |
c) | Der Betriebsrat ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auch bei der Einführung technischer Einrichtungen zur Überwachung von Leistung und Arbeitszeit zu beteiligen. Vor allem Smartphones, die vom Arbeitgeber ausgegeben werden, können zur Überwachung der Arbeitszeiten verwendet werden. Diese kann zum Beispiel durch Einzelverbindungsnachweise oder abgeschickte E-Mails erfolgen.
Quelle: http://www.cms-hs.net |