War ein Arbeitnehmer lange Zeit arbeitsunfähig krank und verstarb er unmittelbar im Anschluss an seine Erkrankung, so erlosch nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sein Urlaubsanspruch (BAG vom 20. September 2011 – 9 AZR 416 / 10). Dieser „verwandelte“ sich auch nicht in einen Urlaubsabgeltungsanspruch, der auf die Erben übergehen konnte. Die Richter argumentierten, dass ein Abgeltungsanspruch nur für den Arbeitnehmer höchstpersönlich und zu Lebzeiten entstehen könne. Nur dann, wenn der Mitarbeiter nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis versterbe, könne der vor seinem Tod für ihn entstandene Abgeltungsanspruch den Erben zugutekommen.
Das höchste deutsche Arbeitsgericht wird zukünftig so nun aber nicht mehr urteilen können, da der Europäische Gerichtshof (EuGH) wieder einmal eine Kehrtwende im deutschen Urlaubsrecht bewirken wird. Zu entscheiden hatten die Richter über einen Fall, den unlängst das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm vorgelegt hatte. Es ging um einen Mitarbeiter, der von 1998 bis zu seinem Tod im November 2010 bei einem deutschen Unternehmen
beschäftigt war. In den Jahren 2009 und 2010 war er wegen einer schweren Erkrankung mit kurzen Unterbrechungen arbeitsunfähig. Im Zeitpunkt seines Todes hatte er 140,5 Urlaubstage angesammelt. Seine Ehefrau verlangte als Erbin von dem Unternehmen die Abgeltung dieser Urlaubstage.
Der EuGH entschied, dass ihr im Grundsatz ein Abgeltungsanspruch zustehe. Es sei mit der europäischen Richtlinie über Arbeitszeitgestaltung (RL 2003 / 88 / EG) unvereinbar, wenn dieser Anspruch mit dem Tod des Mitarbeiters erlösche. Die Richtlinie schreibt vor, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen hat und dass dieser – außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Auch im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod eines Arbeitnehmers – so die Richter – müsse durch einen finanziellen Ausgleich die praktische Wirksamkeit des Urlaubsanspruchs sichergestellt werden. Der unwägbare Eintritt des Todes dürfe nicht dazu führen, dass rückwirkend der Anspruch auf Jahresurlaub vollständig verloren gehe. Die Abgeltung hänge im Übrigen auch nicht von einem Antrag des Betroffenen im Vorfeld ab. Über die genaue Anzahl abzugeltender Urlaubstage muss nun das LAG Hamm entscheiden. (EuGH vom 12. Juni 2014 – C-118 / 13)
Tipp für die Praxis: | ||
Diese aktuelle Entscheidung des EuGH schließt sich nahtlos an sein letztes Urteil zum Urlaubsrecht aus dem Jahre 2009 an. Damals hatte das Gericht entschieden, dass es gegen europäisches Recht verstößt, wenn ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Abgeltung für den krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaub erhält. (EuGH vom 20. Januar 2009 – C-350 / 06, „Schultz-Hoff“) Allerdings geht der EuGH hier noch einen Schritt weiter und erstreckt den Arbeitnehmerschutz auch auf die Erben. Dies ist nur schwer nachvollziehbar, da der Urlaub allein dem Schutz des Arbeitnehmers dient. |