Zur Zulässigkeit von Streiks gibt es Rechtsprechung und juristische Literatur in Mengen. Mit einer Entscheidung über einen mehrstündigen Sitzstreik einer einzelnen Arbeitnehmerin im Büro des Vorgesetzten zur Durchsetzung einer außertariflichen Gehaltserhöhung hat die Rechtsprechung aber Neuland beschritten. Das LAG Schleswig-Holstein musste entscheiden, ob ein solches Verhalten die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann.
Geklagt hatte eine pädagogische Mitarbeiterin. Sie betreute Teilnehmer in Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Das Unternehmen, das sie beschäftigte, zahlte zwar für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden und für Zeiten des Urlaubs die Mindeststundenvergütung von EUR 12,60, nicht aber für durch Feiertage oder Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Stunden. Auch die Urlaubsabgeltung berechnete der Arbeitgeber nur nach der geringeren vertraglichen Vergütung. Dagegen wehrte sich die Mitarbeiterin vor Gericht. Sie verlangte für Feiertage, Krankheitszeiten und als Urlaubsabgeltung nach Maßgabe des TV Mindestlohn eine Nachzahlung in Höhe von EUR 1.028,90 brutto.
Es ging um den Fall einer Leiterin einer Abteilung mit 300 Mitarbeitern. Sie arbeitete seit 1992 bei ihrem Arbeitgeber. In ihrer Funktion als Abteilungsleiterin war sie in die höchste tarifliche Entgeltgruppe eingruppiert. In zahlreichen Gesprächen hatte sie allerdings immer wieder eine Vergütung als außertarifliche Angestellte gefordert, zuletzt in einem Gespräch mit dem Niederlassungsleiter des Unternehmens. Dieser wies ihre Forderung erneut zurück und forderte die Arbeitnehmerin zum Verlassen des Raumes auf. Sie erwiderte, dass sie erst dann gehe, wenn ihre Forderung erfüllt werde. Der Hinweis auf das Hausrecht und eine gesetzte Frist erschütterten sie nicht. Daraufhin verließ der Vorgesetzte seinerseits den Raum. Nach einer Stunde versuchte der Arbeitgeber erneut, die Situation zu entschärfen. Doch die Mitarbeiterin lehnte jegliche Form der Vermittlung durch Dritte, z. B. durch ihren Ehemann oder den Betriebsrat, ab. Auch die Drohung mit Polizei und Kündigung blieb erfolglos. Erst knapp drei Stunden nach Beginn des Sitzstreiks verließ die Arbeitnehmerin schließlich unter Polizeibegleitung den Betrieb. Am nächsten Tag versandte sie eine E-Mail an zahlreiche Empfänger, in der sie auf ihre eigene Verhaltensweise nicht einging und das Verhalten des Niederlassungsleiters mit dem Ausspruch kommentierte: „Wer solche Vorgesetzte hat, benötigt keine Feinde mehr.“ Daraufhin kündigte das Unternehmen das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise mit ordentlicher Kündigungsfrist.
Die hiergegen gerichtete Klage der Arbeitnehmerin hatte aber nur hinsichtlich der fristlosen Kündigung Erfolg. Die ordentliche Kündigung hielten die Richter für gerechtfertigt. Sie führten aus, dass die Mitarbeiterin eine besonders schwere Pflichtverletzung begangen habe. Unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls und insbesondere unter Berücksichtigung ihrer 22-jährigen beanstandungsfreien Beschäftigungszeit rechtfertige diese aber nur eine ordentliche und keine fristlose Kündigung.
Die auch im Rahmen der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Interessenabwägung falle zu Ungunsten der Arbeitnehmerin aus. Sie habe weder auf die Deeskalationsversuche des Unternehmens noch auf die Androhung einer Kündigung reagiert. Im Übrigen wögen ihre Pflichtverletzungen wegen ihrer Vorbildfunktion als Vorgesetzte besonders schwer. Zu ihrem Nachteil seien darüber hinaus ihre bewusst lückenhafte Sachverhaltsdarstellung und die falschen Anschuldigungen in der E-Mail zu werten. Bei dieser Sachlage hätte die Kündigung auch ohne eine vorhergehende Abmahnung ausgesprochen werden dürfen, da das notwendige Vertrauen nicht mehr herzustellen gewesen sei. (LAG Schleswig-Holstein vom 6. Mai 2015 – 3 Sa 354 / 14)