Eine Anwesenheitsprämie kann den gesetzlichen Mindestlohn (mit-)erfüllen. Eine „Anrechnung“ einer solchen Sonderzahlung auf den gesetzlichen Mindestlohn ist aber nur möglich, wenn die vertraglich vereinbarte Grundvergütung unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns liegt.
Der Fall vor dem BAG: Die klagende Arbeitnehmerin erhielt bis Ende 2014 einen Stundenlohn i.H.v. EUR 6,36 brutto sowie eine Anwesenheitsprämie. Die Anwesenheitsprämie betrug aufgrund einer Gesamtzusage aus dem Jahre 1996 DM 100 im Monat. Sie reduzierte sich bei ein bis drei Krankheitstagen pro Monat auf DM 25 und entfiel bei mehr als drei Krankheitstagen. Durch einen Nachtrag zum Arbeitsvertrag wurde der Stundenlohn der Mitarbeiter ab dem 1. Januar 2015 „in Anlehnung an das Mindestlohngesetz“ auf EUR 8,50 brutto pro Zeitstunde angehoben. Eine Regelung zur Anwesenheitsprämie wurde im Zuge dessen nicht getroffen. Nachfolgend zahlte der Arbeitgeber der Mitarbeiterin den vereinbarten Mindestlohn und rechnete die Anwesenheitsprämie darauf an. Den darüber hinausgehenden Betrag der Anwesenheitsprämie zahlte sie bei entsprechender Anwesenheit der Mitarbeiterin aus.
Die Arbeitnehmerin war der Auffassung, ihr stünden Mindestlohn und Anwesenheitsprämie zu. Das BAG ist dieser Auffassung gefolgt und hat damit die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt.
Die Richter argumentierten wie folgt: Die Anwesenheitsprämie sei als mindestlohnwirksame Sonderzahlung einzuordnen, da sie – wie die Staffelung der Krankheitstage belege – jedenfalls auch Gegenleistung für erbrachte Arbeit sei und nicht für die bloße Anwesenheit der Mitarbeiter gezahlt werde. Damit sei sie grundsätzlich geeignet, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn mit zu erfüllen.
Im konkreten Streitfall lehnten die Richter eine Anrechnung dennoch ab. Eine Anrechnung von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn setze voraus, dass die für die geleisteten Arbeitsstunden vertraglich vereinbarte Grundvergütung nicht ausreiche, den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn zu erfüllen. Nur dann entstehe ein Differenzanspruch nach § 3 Mindestlohngesetz (MiLoG), der mit Sonderzahlungen erfüllt werden könne. Im konkreten Fall erfülle der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohnanspruch i.H.v. EUR 8,50 bereits durch die Lohnzahlung, sodass für eine Anrechnung kein Raum bleibe.
Auch eine Verrechnung der Anwesenheitsprämie scheide aus, da diese einen selbstständigen Entgeltbestandteil darstelle und durch die Parteien individualrechtlich keine Anrechnung vereinbart worden sei – weder ausdrücklich noch konkludent. Der Nachtrag zum Arbeitsvertrag sei so auszulegen, dass der Bruttolohn auf das gesetzliche Lohnniveau angehoben werde – ohne Einfluss auf weitere Leistungen. Hierzu wäre eine ausdrückliche Regelung erforderlich gewesen (BAG, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 5 AZR 621/16).
Tipp für die Praxis: | |
Die Entscheidung des BAG macht erneut die Wichtigkeit eindeutiger und transparenter Regelungen im Arbeitsvertrag deutlich. Durch einen klarstellenden Satz im Nachtrag zum Arbeitsvertrag, dass die Anhebung des Stundenlohns unter Anrechnung der Anwesenheitsprämie erfolge, hätte dieses für den Arbeitgeber nachteilige Urteil vermieden werden können.
Die Frage nach der Mindestlohnwirksamkeit von Prämien beschäftigt die Gerichte immer wieder. So können auch Prämien, die der Arbeitgeber für durchgehende Arbeitsfähigkeit, Sauberkeit und Ordnung sowie für den korrekten Umgang mit Leergut zahlt, mindestlohnwirksam sein. Konkret argumentierten die Richter des BAG jüngst wie folgt: Die sogenannte „Immer da“-Prämie (EUR 95) honoriere nicht nur die bloße Anwesenheit der Mitarbeiter im Betrieb, sondern die Erbringung der Arbeitsleistung solcher Arbeitnehmer, die sich bei (geringfügigen) gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht gleich krankscheiben ließen. Auch die Prämie für Ordnung und Sauberkeit (EUR 50) sowie die sogenannte „Leergut“-Prämie (EUR 155) seien Gegenleistung für die ordnungsgemäße Abwicklung der von den Mitarbeitern zu verrichtenden Tätigkeiten – namentlich das Desinfizieren der Lieferwagen sowie die ordnungsgemäße Rückgabe des Leerguts der Kunden an den Arbeitgeber. Damit unterliegen sie nach Auffassung der Richter ebenfalls dem Entgeltbegriff des MiLoG (BAG, Urteil vom 8. November 2017 – 5 AZR 692/16). |
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