§ 38 Abs. 1 S. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) regelt, wie viele Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit mindestens freizustellen sind. In Betrieben, in denen 200 bis 500 Mitarbeiter arbeiten, muss mindestens ein Betriebsratsmitglied freigestellt werden, in Betrieben mit 501 bis 900 Arbeitnehmern mindestens zwei. Das Gesetz gibt entsprechende Staffelungen für weitere Betriebsgrößen vor.
Seit dem 1. April 2017 bestimmt § 14 Abs. 2 S. 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), dass auch Zeitarbeitnehmer bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahlen zu berücksichtigen sind, wenn Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern voraussetzen. Zeitarbeitnehmer waren nach der Rechtsprechung allerdings auch schon vor dem Inkrafttreten der Neuregelung des § 14 Abs. 2 Satz 4 AÜG bei der Freistellungsstaffel des § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG mitzurechnen, wenn sie zu dem regelmäßigen Personalbestand des Betriebs zählten. Die gesetzliche Neuregelung, mit der der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer bei betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten aufgegriffen hat, soll nach der Gesetzesbegründung nur der Klarstellung dienen, bei welchen betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten derartige Arbeitskräfte mitzuzählen sind. In jedem Fall erfordert die Feststellung der Beschäftigtenzahl sowohl eine rückwirkende Betrachtung als auch eine Prognose, bei der konkrete Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen sind.
Konkret ging es um folgenden Fall: Ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie setzte im Betrieb zusätzlich zu den eigenen Arbeitnehmern über Jahre hinweg ca. 150 Zeitarbeitnehmer ein. Unter deren Berücksichtigung betrug die durchschnittliche Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer
Januar bis Dezember 2012: 758
Januar bis Dezember 2013: 661
Januar bis September 2014: 634
Oktober 2014 bis Juni 2015: 583
Ende Juni 2015: 628
In dem Betrieb war ein Betriebsratsmitglied von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Die Freistellung eines weiteren Mitglieds lehnte das Unternehmen ab. Es argumentierte, dass mit einem weiteren Personalabbau von 80 bis 120 Arbeitsplätzen zu rechnen sei. Die Effekte aus den beabsichtigten Umstrukturierungen und Betriebsänderungen würden erst im April 2016 eintreten. Der Betriebsrat beantragte daraufhin, feststellen zu lassen, dass der Arbeitgeber zur Freistellung eines zweiten, vom Betriebsrat frei zu wählenden Betriebsratsmitglieds verpflichtet sei. Er war damit in allen Instanzen erfolgreich.
Das BAG urteilte wie folgt: Das Unternehmen habe unter Berücksichtigung der Zeitarbeitnehmer in der Regel mindestens 501 Arbeitnehmer in seinem Betrieb beschäftigt. Für die Anzahl der in der Regel Beschäftigten sei die normale Arbeitnehmeranzahl entscheidend, die für den Betrieb im Allgemeinen kennzeichnend ist. Die Feststellung der Beschäftigtenanzahl erfordere sowohl eine rückblickende Betrachtung, für die ein Zeitraum zwischen sechs Monaten und zwei Jahren angemessen sei, als auch eine Prognose, bei der konkrete Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen seien. In der Vergangenheit und im Zeitpunkt der Entscheidung der Vorinstanz habe die Beschäftigtenanzahl durchschnittlich mindestens 580 betragen. Das Vorbringen des Unternehmens, dass der Beschäftigungsstand sich zukünftig reduziere, rechtfertige nicht die Prognose eines unmittelbaren Rückgangs der Mitarbeiteranzahl. Denn der Arbeitgeber habe keine konkrete unternehmerische Entscheidung zum Personalabbau getroffen und dargelegt, sondern lediglich Angaben zu seinen Vorstellungen und Planungen gegeben. Dementsprechend seien zwei Betriebsratsmitglieder freizustellen (BAG, Beschluss vom 2. August 2017 – 7 ABR 51/15).
Tipp für die Praxis: | ||
Zunächst überrascht diese Entscheidung, da das BAG trotz Vorliegens eines „Altfalls“ § 14 Abs. 2 S. 4 AÜG anwendet. Dies geschah indes im Hinblick auf den in die Zukunft gerichteten Antrag des Betriebsrats.Das Thema „Berücksichtigung von Zeitarbeitnehmern“ ist im Übrigen nicht nur im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes relevant. In einem weiteren aktuellen Beschluss hat das BAG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Zeitarbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) zu berücksichtigen sind. Es geht hier also darum, inwieweit Zeitarbeitnehmer hinzuzuzählen sind, wenn zu ermitteln ist, ob eine Massenentlassungsanzeige zu erfolgen hat. Zu gegebener Zeit werden wir berichten, wie der EuGH sich zu dieser Frage geäußert hat (BAG, Beschluss vom 16. November 2017 – 2 AZR 90/17 (A)). |
Quelle: https://www.cms-hs.net